Wie steht es aktuell um die deutsche Gastronomie, Kemal Üres?
Kemal Üres ist eine feste Größe in der Gastronomie – als Unternehmer, Visionär und Unterstützer. Er prägt die Branche, treibt innovative Konzepte voran und vermittelt wertvolle Einblicke. Mit Projekten wie der Gastro Business School und seiner Tätigkeit als „Gastroflüsterer“ hat er sich weit über die DACH-Region hinaus einen Namen gemacht. Es geht ihm dabei darum, Menschen zusammenzubringen und nachhaltige Lösungen für eine bessere Zukunft in der Gastronomie zu schaffen.
Im Interview haben wir mit dem „Gastroflüsterer“ Kemal Üres über seinen Werdegang, die aktuellen Herausforderungen und Chancen der Gastronomie sowie seine Vision für die Branche gesprochen.
Kemal, Du bist in der Gastronomie zuhause – aber nicht nur dort. Erzähle uns von Deiner Karriere!
Kemal Üres: Ich bin mittlerweile 48 Jahre alt und seit ich 21 oder 22 bin, selbstständig. Das war kein Spaziergang, sondern ein ständiges Auf und Ab. Über die Jahre hat sich einiges angesammelt, da ich gerne unterschiedliche Dinge mache und mich nicht nur auf eine Sache konzentriere. Trotzdem bin ich der Gastronomie und dieser „Bubble“ immer treu geblieben.
Alles, was ich tue, hat im Kern immer mit Hospitality zu tun. Heute gehören dazu eine Rösterei, ein E-Commerce-Unternehmen mit Gastronomiebezug, der Gastroflüsterer und die Gastro Business School. Das ist mein Hauptfokus.
Bei spannenden Unternehmen, in denen ich als Gastroflüsterer meinen Mehrwert einbringen kann, steige ich oft ein. So sind mittlerweile etwa zwölf GmbHs entstanden. Mein Ziel ist es, weiterzuwachsen, denn mein Antrieb war nie einfach nur das Geldverdienen. Ich liebe es, wenn Dinge funktionieren, wenn ein Team dahintersteht, alles gedeiht und ein Momentum entsteht. Dieses Wachsen und Großwerden treiben mich an. Im Kern bleibt es dabei aber immer die Gastronomie.
Als Gastro-Flüsterer hast Du Dir in der Branche einen Namen gemacht. Wie kam es dazu und warum Gastro-Flüsterer?
Kemal Üres: Seit sechs Jahren produziere ich Content und habe viele Unternehmer-Tipps gegeben, allerdings hat das zunächst nicht so funktioniert, wie ich es mir vorgestellt hatte. Als dann Corona kam, änderte sich alles. Plötzlich riefen mich unzählige Leute an, weil ich schon seit Jahren – seit ich 30 bin – Gastronomen berate. Allerdings geschah das bis dahin immer auf freundschaftlicher Basis und ohne dafür Geld zu nehmen. Ich fand es nämlich schon immer schade, dass Gastronomen oft so wenig voneinander lernen, weil sie keine Tipps teilen.
Als dann während Corona der Ansturm kam, wurde mir klar, dass ich das allein nicht mehr bewältigen konnte. Also begann ich, Videos zu drehen. In diesem Zusammenhang hat mich jemand „Gastroflüsterer“ genannt, weil Gastronomen sich gegenseitig nichts verraten und ich sozusagen die Geheimnisse „zuflüstere“. So ist dieser Name entstanden, und mit der Zeit habe ich gemerkt, dass ich europaweit der Einzige bin, der systematisch Gastro-Tipps gibt.
Daraufhin habe ich drei Leute eingestellt, und in den letzten viereinhalb Jahren sind wir mit unserem Team durch Deutschland, Österreich und die Schweiz gereist. Wir haben bei etwa 450 bis 500 Gastronomen kostenlos Content erstellt. Ganz genau weiß ich die Zahl nicht mehr, aber diese Arbeit hat uns eine große Reichweite gebracht. Heute haben wir plattformübergreifend fast eine Million Follower, von denen schätzungsweise 40 Prozent Gastro-Unternehmer sind. Mein Ziel war und ist es, die Community zusammenzubringen. Mit der Gastro Business School möchte ich vor allem zeigen, dass Gastronomie kein reines Try-and-Error-Spiel sein muss. Stattdessen geht es darum, bestimmte Dinge zu beherrschen, um nachhaltig erfolgreich zu sein und ein profitables Unternehmen aufzubauen.
Was sind Deine Tätigkeiten im Daily Business?
Kemal Üres: Ich reise nach wie vor durchs Land und drehe Content, was ungefähr 50 Prozent meines Alltags ausmacht. Wir produzieren zahlreiche YouTube-Formate und entwickeln ständig neuen Content. Rund 40 Prozent meiner Zeit fließen in die Arbeit mit der Gastro Business School, das heißt in die Entwicklung von Produkten und Weiterbildungsformaten. Etwa 15 bis 20 Prozent widme ich meinen eigenen Unternehmen, die ich mittlerweile vollständig an ein Management-Team übergeben habe.
Eines dieser Unternehmen ist ein großer Caterer aus Hamburg, der täglich 5.000 bis 6.000 Essen liefert, darunter für Kantinen, Betriebsrestaurants und Kitas. Die Übergabe ans Management hat mich in den letzten vier Jahren viel Zeit und Energie gekostet, da ich diesen Prozess parallel zum Aufbau des Gastroflüsterers vorangetrieben habe. Heute laufen die Unternehmen so stabil, dass ich operativ nicht mehr eingreifen muss. Dennoch nehme ich weiterhin an Meetings teil, arbeite strategisch an den Beteiligungen und Partnerunternehmen und kümmere mich um die übergeordnete Planung. Ich arbeite also nur noch am Unternehmen, nicht mehr im Tagesgeschäft.
Wie steht es aktuell um die deutsche Gastronomie?
Kemal Üres: Der Gastronomie geht es aktuell sehr schlecht, insbesondere der Individualgastronomie, die nicht die Hebel von Systemen, Prozessen oder größeren Volumina hat. Selbst größere Betriebe verdienen kaum Geld, halten sich aber gerade noch über Wasser, während die Vielfalt bereits am Boden liegt. Leider hat die Politik mit der Wiedereinführung der 19 Prozent Mehrwertsteuer auf Speisen der Branche den letzten Todesstoß versetzt. Ich glaube, dass etwa 30 Prozent der Gastronomiebetriebe schließen werden, was zu einer Neuverteilung führen wird. Es wird weniger Betriebe geben, die dafür aber mehr Einheiten bedienen. Besonders traurig ist die Situation für all die Menschen, die ihre Lebenszeit und Energie in ihre Selbstständigkeit gesteckt haben und jetzt vor dem Nichts stehen oder bald dort landen könnten – nicht, weil sie es wollen, sondern weil die Kostenstruktur brutal gestiegen ist und die Gäste verständlicherweise nicht bereit sind, die höheren Preise mitzugehen.
Auch die Gäste kämpfen mit der Inflation, was ich absolut nachvollziehen kann. Deshalb setzen wir uns stark dafür ein, dass die neue Regierung die 7 Prozent Mehrwertsteuer auf Speisen im Haus dauerhaft einführt, damit sich der Betrieb überhaupt noch lohnt. Das kleine Plus, das wir einmal hatten, wurde durch die höheren Steuern wieder zunichtegemacht, was dazu führt, dass immer mehr To-Go-Konzepte entstehen. Die Menschen lieben Burger und Dönerläden, aber das eigentliche Erlebnis Gastronomie hat es schwer, weil weniger Gäste kommen, weniger konsumiert wird und die Kostenstruktur nicht mehr tragbar ist. Das kann so nicht weitergehen. Deshalb machen wir uns mit einer neuen Kampagne stark für die dauerhafte Einführung der 7 Prozent Mehrwertsteuer auf Speisen im Haus, genauso wie wir es bereits im letzten Jahr getan haben, um die Vielfalt der Gastronomie zu retten.
Wie viel hat die Pandemie kaputt gemacht?
Kemal Üres: Die Pandemie hat zwar viel kaputt gemacht, aber das Schlimmste kam eigentlich erst danach. Die Inflation, der Krieg und die dadurch gestiegenen Kosten haben die Branche stark belastet. Jetzt kommen zusätzlich die Rückzahlungen der Hilfen und der Wegfall der Subventionen durch die reduzierte Mehrwertsteuer, was die Situation noch schwieriger macht. Die harte Zeit liegt daher erst vor uns, wahrscheinlich in den nächsten eineinhalb Jahren.
Danach jedoch, so glaube ich, wird sich der Markt bereinigt haben, und die, die dann noch bestehen, könnten eine bessere Zeit erleben als jemals zuvor. Gastronomie wird dann endlich wie jeder andere Beruf mit Kennzahlen gemessen werden, und Digitalisierung wird unumgänglich sein. Die junge Generation macht es bereits vor, und die Branche wird lernen müssen, richtig zu kalkulieren, Produktpässe zu erstellen, Rezepturen zu optimieren und all das zu tun, was heute oft noch vernachlässigt wird. Diese Dinge werden in Zukunft zur Pflicht, und die Gastronomie wird sich zu einem professionellen, strukturierten Business entwickeln.
„Die Pandemie hat zwar viel kaputt gemacht, aber das Schlimmste kam eigentlich erst danach.“ – Kemal Üres
Was sind die aktuell größten Herausforderungen für und in der Branche?
Kemal Üres: Die Gastronomie hat es momentan besonders schwer, vor allem der Full-Service-Bereich. Schnellere, weniger personalintensive Konzepte, die oft weniger Personal und geringere Personalkosten haben, kommen immer mehr auf. Diese Konzepte profitieren von der aktuellen Situation, während die traditionellen Gastronomiebetriebe unter den gestiegenen Mehrwertsteuerkosten und hohen Personalkosten leiden. Die größte Herausforderung ist, dass die Einnahmen und Kosten nicht mehr im Einklang stehen, sodass für den Aufwand, den Stress, die Investitionen und das Kapital, das in die Unternehmen fließt, nicht genug übrigbleibt.
Viele Gastronomen bringen zusätzliches Geld ein, aber auf Dauer geht das nicht gut. Dadurch geht die Vielfalt in den Innenstädten verloren, und die Attraktivität sinkt. Ein weiteres Problem ist der Personalmangel, der auch zu den steigenden Personalkosten beiträgt, die seit 2019 um 40 Prozent gestiegen sind. Das ist grundsätzlich gut, da die Mitarbeiter mehr verdienen, was auch notwendig und richtig ist, aber das Ökosystem passt einfach nicht mehr. In Deutschland war lange Zeit der Trend, gute Qualität zu günstigen Preisen in großen Mengen anzubieten, was heute nicht mehr funktioniert – das ist in anderen Ländern längst nicht mehr so, und diese Entwicklung bringt uns jetzt wirklich in die Bredouille.
Wie gehst Du diese Herausforderungen an?
Kemal Üres: Wir sparen Kosten, sind nah an der Mannschaft und prüfen genau, wo die Kosten liegen und wo Einsparungen möglich sind. Dabei geben wir den Mitarbeitern Sicherheit, während wir gleichzeitig den Vertrieb aufrechterhalten und versuchen, weiterhin Marktanteile mit unserer Firma zu gewinnen. Alles, was nicht funktioniert, wird geschlossen, und die Ressourcen werden so umverteilt, dass sich der Aufwand am Ende lohnt. Dabei muss man vorsichtig sein. Es ist entscheidend, jetzt nah an der Mannschaft zu bleiben und als Chef mit gutem Beispiel voranzugehen, um diese schwierige Zeit zu überbrücken.
Wie sieht Deine Prognose für die Gastronomie der nächsten Jahre aus?
Kemal Üres: Ich glaube, dass wir in den nächsten anderthalb Jahren noch einmal rund 30 Prozent der Gastronomiebetriebe verlieren werden. Danach wird es eine Erholung geben, bei der die Gäste wieder bereit sind, für Qualität auch entsprechend zu zahlen. Da es dann weniger Gastronomiebetriebe geben wird, wird sich auch der Personalmangel verringern, und insgesamt wird sich die Situation beruhigen. Aber das wird noch mindestens bis 2026 dauern, und bis dahin geht es darum, durchzuhalten.
Im November 2024 fand Dein erstes Live-Webinar statt. Worum ging es darin und wird es in Zukunft weitere Webinare geben?
Kemal Üres: Wir hatten ein Webinar, auf das ich sehr stolz bin. Es gab über 6.000 Anmeldungen, und am Ende waren mehr als 3.500 Gastronomen an einem Montag um 10 Uhr live dabei. Ich glaube, das gab es im B2B-Bereich noch nie, dass so viele Menschen digital an einem Event teilgenommen haben. In diesem Webinar haben wir unsere digitalen Workshops vorgestellt, es dauerte drei Stunden und wir haben unser erstes „Goldenes Gastropaket“ als digitale Weiterbildung zum Kauf angeboten, was sehr gut ankam und Hunderten von Gastronomen zugänglich gemacht wurde. Das hat hervorragend funktioniert. Es geht jetzt darum, an der Basis zu arbeiten, also Themen wie Waste Management, Rohstoffauswahl, Lagerhaltung, Bestellverfahren, Rezepturen, Produktpässe, Deckungsbeitragskalkulation und eine smarte Speisekarte.
Wir bieten alles, was Gastronomen brauchen, um die nächsten anderthalb Jahre gut zu überstehen – und das digital, nicht nur für den Chef, sondern auch für die Mitarbeiter, die ebenfalls in diese Prozesse eingeführt werden. Das war der erste Schritt. Unser Ziel ist es, die Gastro, Business School (GBS) zur größten Weiterbildungsplattform im DACH-Raum zu machen. Allein in diesem Jahr hatten wir bereits 400 Schüler, und das war unser erstes Jahr. Wir rechnen mit mehreren Tausend und möchten Gastronomen helfen, ihre Lebenszeit zurückzubekommen und aus dem Hamsterrad herauszukommen, in dem sie sich oft befinden. Wir wollen Selbstständigen ein Tool an die Hand geben, mit dem sie sich selbst und ihr Geschäft weiterentwickeln können. Dafür bieten wir Experten-Talks und verschiedene Module an, die von Anfänger bis Fortgeschrittene reichen und Gastronomen genau das vermitteln, worauf es ankommt.
Wie kann man Dich ansonsten unterstützen und wie unterstützt Du?
Kemal Üres: Wir können Unterstützung gebrauchen. Mittlerweile sind wir mehr als zehn Vollzeitangestellte, die ausschließlich für den Gastroflüsterer arbeiten. Wir produzieren zwei YouTube-Videos pro Woche, veröffentlichen täglich zwei Reels und bespielen verschiedene Plattformen wie TikTok und LinkedIn. Wir freuen uns, wenn uns Menschen folgen und unterstützen. Besonders bei unseren Kampagnen zu politischen Themen rufen wir dazu auf, mitzumachen, auch wenn es in Berlin stattfindet. Jede Stimme und jeder Support zählt, denn als Gastronomen sind wir oft kleinteilig und müssen lernen, uns gegenseitig zu unterstützen und füreinander einzustehen. Nur so können wir verhindern, weiter in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden und von Politikern und Entscheidungsträgern wahrgenommen zu werden.
Es kann nicht sein, dass für die großen DAX-Unternehmen Gelder freigegeben werden, während wir, der Mittelstand, der das Rückgrat dieses Landes bildet, übersehen werden, nur weil wir kleinteilig sind. Eine der Hauptaufgaben des Gastroflüsterers ist es, diese großartige Branche zusammenzubringen, sie zu stärken und gemeinsam den Ruf und den Respekt zu erlangen, den wir verdienen. Wir sind das dritte Wohnzimmer der Gesellschaft, der soziale Kleber, und wir haben mehr Anerkennung verdient – das wollen wir zurechtrücken. Wenn wir nicht kämpfen, wird uns niemand wahrnehmen, aber wir sind viel mehr als nur das.
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+++ Wir bedanken uns bei Kemal Üres für das offene und sehr interessante Interview! Wenn auch Sie eine interessante Marke haben, dann sollten wir uns unterhalten. Senden Sie uns einfach eine E-Mail mit dem Betreff „about-drinks Interview“ an redaktion@about-drinks.com – wir freuen uns auf Ihren Kontakt! +++