Obdachlosigkeit: fritz-kola Initiative „Pfand gehört daneben“ startet Aufruf an Bundesregierung
Hauptbahnhöfe sind für viele Menschen Drehkreuze des täglichen Lebens. Für obdachlose und bettelnde Menschen, die durch das Sammeln von Pfandflaschen ihre Lebensgrundlage sichern müssen, sind sie Zufluchtsorte und oft das einzige Dach über dem Kopf, das ihnen bleibt. Doch seit einigen Monaten wird ihr Leben durch verschärfte Kontrollen sowohl in Hamburg als auch in anderen Großstädten massiv erschwert. Wohnungslose Menschen sehen sich mit Platzverweisen konfrontiert, die in Absprache mit und im Auftrag von Innenbehörde und Bezirksamt geplant und von der Polizei umgesetzt werden. Obdachlose Personen haben in ihrer Position oftmals eine geringe Beschwerdemacht – und werden deshalb immer wieder auf Außenbezirke verdrängt.
Die Verdrängung steht im klaren Widerspruch zum Aktionsplan der Bundesregierung zur Überwindung der Wohnungslosigkeit, der eine merkliche Verbesserung für Betroffene vorsieht, indem ihnen der Zugang zu dauerhaftem Wohnraum ermöglicht wird. Die fritz-kola Initiative „Pfand gehört daneben“, der Bundesverband „Housing First“ und die „Initiative Solidarische Straße“ aus Hamburg schlagen deshalb Alarm und appellieren an die Bundesregierung und das Bezirksamt Hamburg, sofort kontraproduktive Maßnahmen zu beenden. Stattdessen braucht es Solidarisierung und dauerhafte Perspektiven für die Menschen. Das Bündnis fordert die flächendeckende Umsetzung des „Housing First“-Ansatzes, um Obdachlosigkeit in Deutschland langfristig zu verringern.
Housing First stellt die eigene, mietvertraglich abgesicherte Wohnung an den Anfang der Hilfe – und beendet damit Obdachlosigkeit ganz unmittelbar. Denn Wohnen ist ein Menschenrecht für alle Menschen. Eine eigens durchgeführte repräsentative Studie [1] liefert Einblicke in die Wahrnehmung von obdachlosen, pfandsammelnden und bettelnden Menschen in Deutschland.
Obdachlose Menschen brauchen vor allem eins: eine Wohnung
In der bundesweiten Befragung von 1.003 Teilnehmern wird deutlich: Mehr als die Hälfte (52,8 %) befürwortet Maßnahmen wie Platzverweise oder Bettelverbote an Hauptbahnhöfen – wahrscheinlich in dem Vertrauen, dass obdachlose, bettelnde Menschen in ein unterstützendes System überführt werden. Jedoch ist das Hilfesystem quantitativ und qualitativ unzureichend. Es gibt kaum ausreichend Schlafplätze und die Unterkünfte reichen nicht aus, um die Grundbedürfnisse der Menschen zu decken. Angemessene Hilfe kann so nicht stattfinden. Ein ebenfalls großer Anteil der Befragten (54,6 %) erkennt den drängendsten Bedarf von obdachlosen Menschen – ein festes Dach über dem Kopf. Doch genau das wird durch die Verdrängung maßgeblich verhindert. Es braucht kritische und solidarische Mitmenschen, um diesen Missstand aufzuklären. Weitere genannte Aspekte sind Gesundheitsversorgung (42,8 %), soziale Unterstützung (40,8 %), Sicherheit (36,3 %), Respekt von Mitmenschen (32,3 %), ein Job (28,1 %) und Privatsphäre (16,7 %).
Housing First – eigene Wohnung statt Vertreibung
Das sind wichtige Argumente für „Housing First“: Die deutliche Mehrheit aller Befragten (76,9 %) kennt diesen innovativen Ansatz zur Bekämpfung von Obdachlosigkeit allerdings nicht. Was steckt dahinter?
„Obdachlosigkeit ist die krasseste Form der Armut in unserer Gesellschaft. Obdachlose Menschen leiden oftmals unter Hunger, Durst, Kälte oder Hitze, Gewalt sowie fehlender Privatsphäre. Dabei ist Wohnen ein Menschenrecht. Housing First setzt dieses Menschenrecht ganz unmittelbar um und bietet damit genau den Menschen ein Angebot, die vielfach von anderen Hilfen nicht mehr erreicht werden“, erklärt Julia von Lindern vom Bundesverband Housing First.
Housing First ist damit ein wegweisender Ansatz, der es ermöglicht, die zugrunde liegenden Probleme der Obdachlosigkeit anzugehen. Es ist wichtig, die Menschen in Deutschland darüber zu informieren und die großen Chancen dieser Initiative herauszustellen. Hamburg führt bereits seit 2021 ein Housing First Modellprojekt durch. Hier fordern die drei Initiativen einen Übergang der Modellphase in ein zeitlich unbeschränktes Konzept.
Lösungen finden – Perspektiven schaffen
Seit seiner Gründung setzt sich fritz-kola mit seiner sozialen Initiative „Pfand gehört daneben“ für soziale Gerechtigkeit ein. Deshalb kritisieren sie die mangelnde Effizienz der Bundesregierung bei der Bekämpfung der Obdachlosigkeit in Deutschland. Aktuell sind 262.600 Menschen in Deutschland ohne festen Wohnsitz, davon leben 38.500 tatsächlich auf der Straße.
Pascal Fromme von der fritz-kola Initiative Pfand gehört daneben, sieht Handlungsbedarf: „Viele obdachlose Menschen könnten ohne das Pfandsammeln nicht über die Runden kommen. Genau darum motivieren wir mit unserer Aktion ‘Pfand gehört daneben’ dazu, leere Pfandflaschen neben Abfalleimern abzustellen. So ersparen wir Bedürftigen das unwürdige und gefährliche Durchsuchen des Mülls. Das grundsätzliche Problem der Obdachlosigkeit kann aber nur von der Bundesregierung und hier vor Ort vom Bezirksamt Hamburg gelöst werden. Die Ergebnisse unserer Umfrage beleuchten die Lebensrealität von obdachlosen Personen und zeigen, wie sie in Deutschland wahrgenommen werden. Das ‘Housing First’-Konzept ist ein guter Lösungsansatz, um diese Menschen wieder in die Gesellschaft zu integrieren.”
„Doch ‘Housing First’ muss mehr als ein Modellprojekt sein”, ergänzt Julien Peters, Mitglied der Initiative Solidarische Straße. „Zudem brauchen wir eine klare finanzielle und politische Verpflichtung auf Bundesebene. Ein Investitionsfond und eine verbindliche Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern sind hier entscheidend. Die Verdrängung von Wohnungslosen und Hilfsorganisationen in Außenbezirke dient lediglich dem Image des Hauptbahnhofs. Dabei leidet dieses Image vor allem durch das aktuelle Vorgehen, denn eine soziale und gerechte Stadt geht würdiger mit Mitmenschen um.“
Über fritz-kulturgüter
fritz-kola wurde 2002 von zwei Studenten in Hamburg gegründet. Die erste Kola kam 2003 auf den Markt, zahlreiche safthaltige Limonaden und Schorlen folgten. Der Umwelt zuliebe setzt fritz-kola seit der Gründung auf Glasmehrwegflaschen und baut die dezentrale und verbrauchernahe Abfüllung stetig aus. Darüber hinaus engagiert sich fritz-kola mit der Initiative „Pfand Gehört Daneben“, der Bewegung „Trink aus Glas“ und in zahlreichen Projekten für eine nachhaltige Gesellschaft. Mirco Wolf Wiegert und Florian Weins sind Geschäftsführer des Unternehmens, das seit 2014 fritz-kulturgüter heißt.
Über „Pfand Gehört Daneben“
Die Aktion „Pfand Gehört Daneben“ erinnert die Besitzer leerer Pfandflaschen daran, sie ordentlich neben Abfalleimern abzustellen. Damit wird Obdachlosen das mühsame und gefährliche Wühlen in Abfallbehältern erspart. Zusätzlich landen mehr Mehrwegflaschen bei Getränkeherstellern anstelle der Müllverbrennung. Nach der Übernahme der Gründerinitiative im Jahr 2015 setzen engagierte Mitglieder ihre Arbeitszeit und Herzblut in die Initiative. Über 100 Partner, darunter Getränkehersteller, unterstützen „Pfand gehört daneben“, um Pfandgelder leichter Bedürftigen zugänglich zu machen. Die Initiative dehnt sich sogar nach Polen und in die Niederlande aus, unter dem Namen „Every Bottle Helps“.
Mehr Informationen unter: pfand-gehoert-daneben.de
Über Housing First
Straßenobdachlosigkeit beenden – durch Wohnen in Würde
Der Bundesverband Housing First e. V. ist der erste und einzige deutsche Verband, der die flächendeckende und konzepttreue Umsetzung des Housing First-Ansatzes verfolgt. Übergeordnetes Ziel ist es, die Straßenobdachlosigkeit in Deutschland dauerhaft zu überwinden.
Housing First aus der Praxis für die Praxis
2022 gegründet, vereint der Verband jene Träger, Initiativen und Projekte, die in Deutschland Housing First bereits erfolgreich als Pilot- und Modellprojekte praktizieren. Aus dieser Erfahrung heraus wirkt der Bundesverband Housing First zum einen auf Bundes- und Landesebene unmittelbar auf Politik, Sozial- und Immobilienwirtschaft ein, entsprechende Strukturen flächendeckend bereitzustellen und zu finanzieren. Zum anderen unterstützt er Kommunen, Träger und Initiativen, Housing First in ihrem Wirkungskreis zu implementieren und weiterzuentwickeln.
Mehr Informationen unter: bundesverband-housingfirst.de
Über die Initiative Solidarische Straße
Die Initiative Solidarische Straße ist ein Zusammenschluss von Menschen aus unterschiedlichen Bereichen: von Straßensozial- und Antidiskriminierungsarbeit bis hin zur Kultur- und Kreativarbeit. Uns eint die Solidarität mit den Menschen auf der Straße. Uns eint die Wut darüber, dass Menschen, die auf den Straßen überleben und nach Hilfe fragen müssen, aus dem öffentlichen Raum vertrieben werden und durch Polizei und DB-Sicherheit mit Platzverweisen kriminalisiert und weiter ausgrenzt werden. Uns alle eint, dass wir dabei nicht einfach zusehen können. Wir verstehen die Initiative Solidarische Straße auch als eine Einladung an die Hamburger Zivilgesellschaft, sich mit Menschen auf der Straße zu solidarisieren.
[1] National repräsentative Online-Umfrage durchgeführt von Appinio im Auftrag von fritz-kulturgüter. Befragungszeitraum: 17.11.2023; Befragte: 1.003 Teilnehmer ab 18 Jahre aus Deutschland.
Quelle/Bildquelle: fritz-kulturgüter GmbH