„Kornbrand mit uralten Mitteln revolutionieren“: Rüdiger Sasse über die Feinbrennerei Sasse
Für ihre Kornkreationen nimmt sich die Feinbrennerei Sasse mit Sitz in Schöppingen im westlichen Münsterland das, was heutzutage selten ist: Zeit. Durch Ruhe und Geduld reifen die Destillate und vor allem der Lagerkorn zu geschmacklich einzigartigen Bränden. Darüber hinaus legt das Unternehmen, das seit mehr als 300 existiert, viel Wert auf beste Rohstoffe und das Brennen von Hand in traditionellen Stills. Ziel ist es, den Kornbrand mit uralten Mitteln zu revolutionieren. Das Potenzial ist da, so sieht Inhaber Rüdiger Sasse bei handwerklichem, traditionellem Korn ein deutlich höheres Aromapotential als bei Malt Whisky. Ganz unrecht kann er damit nicht haben, wurde der Sasse Cigar Special bei der „International Wine and Spirits Competition 2022“ in London doch als bester Whisky Kontinentaleuropas (und das als Korn!) ausgezeichnet.
Wir haben mit Rüdiger Sasse im Interview über den Vergleich von Korn mit Whisky, die Herstellung und Lagerung der Produkte sowie die Geschichte der Feinbrennerei und des Kornbrands gesprochen.
„Korn ist ein Altherren-Getränke“ – Wie lautet Ihre Antwort auf diese Aussage?
Rüdiger Sasse: Das hat sich überholt! Die Thekenhocker der 70er Jahre mit Altherrengedeck und „HB Fluppe“ sind schon lange tot. Wenn wir weiter in die Vergangenheit schauen, hatte Kornbrand ein irres Geschmackspotential. Da wollen wir wieder hin. Wir revolutionieren den Korn daher mit konsequenter Ausrichtung an unseren Ur-Ur-Großeltern. Das klingt vielleicht komisch – einen Markt mit uralten Mitteln revolutionieren zu wollen. Wenn aber fast alles vergessen ist, sind alte Dinge neu.
Die Feinbrennerei Sasse gilt als Erfinder des Lagerkorns. Aber wie und wann wurde Sasse erfunden?
Rüdiger Sasse: Seit über 300 Jahren beschäftigt sich meine Familie mit alkoholischem Genuss. Unsere Nachbarn betrieben Tuchhandel und wir beherbergten die Reisenden. Hierzu betrieb man eine Altbierküche. Allerdings war das Bier war nicht so lange haltbar, deshalb hat man es ab dem frühen 18. Jahrhundert durch Destillation haltbar gemacht. So begann die Geschichte des heutigen Lagerkorn.
Welche Meilensteine fallen Ihnen ein, wenn es um die über 300-jährigen Geschichte geht?
Rüdiger Sasse: 300 Jahre ist eine sehr lange Zeit. Wir besitzen heute noch unsere Geschäftsbücher der letzten 200 Jahre. Da relativiert sich vieles, was in der heutigen Perspektive als Meilenstein gesehen wird. Zwei echte Meilensteine bleiben aber übrig: Die Gründung des Branntweinmonopols in Deutschland im Jahr 1918, wodurch der Kornbrand in Deutschland zu einem geschmackneutralen Industrieprodukt verkommen ist. Und unsere Rückbesinnung zu den ursprünglichen Produktionsmethoden, um die Monopolphase „rückabzuwickeln“ und Korn wieder den vollen Geschmack zurückzugeben.
Wie ist das Unternehmen aktuell aufgestellt? Können Sie uns ein paar Zahlen nennen?
Rüdiger Sasse: Unsere Brennerei hat vier Destillen, die sogenannten Stills. Im Rohbrand arbeiten wir mit einer Maischekolonne mit 12 Böden aus dem Jahr 1878. Die Pot Stills haben verschiedene Größen, mit einem gesamten Fassungsvermögen von 4.750 Litern. Wir befüllen damit einen Bestand von ca. 2.500 Barriquefässern. Insgesamt sorgen in unserem Familienunternehmen knapp 40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dafür, dass der Laden läuft.
Was genau ist Lagerkorn? Und wie unterscheidet er sich von „normalem“ Korn?
Rüdiger Sasse: Lagerkorn ist eine ganzheitliche Vision. Am Ende der Vision möchten wir mit der handwerklichen Passion unserer Vorfahren und heutigen modernen Analysemethoden ein natürliches Genusserlebnis schaffen, welches Aromakomplexität mit unglaublicher Milde verbindet. Das hört sich vielleicht hochtrabend an, aber für Lagerkorn haben wir alles auf den Prüfstand gestellt und verändert.
Wir nehmen andere Rohstoffe, maischen anders und destillieren komplett anders, als es für normalen Korn gemacht wird. Zuletzt macht der Ausbau auch noch einen Teil des Aromas aus. Handwerklicher, traditioneller Korn hat aus meiner Sicht ein deutlich höheres Aromapotential als Malt Whisky. Klingt provokativ? Es liegt aber einfach daran, dass wir das ganze Getreidekorn vergären, dabei können einfach mehr Aromaalkohole entstehen. Ich würde die Spannweite der Möglichkeiten eher mit den Varianten beim Rum vergleichen. Mit Lagerkorn können wir immer wieder neue Aromawelten entdecken.
Wie werden Ihre Produkte hergestellt und welche Lager-Methoden nutzen Sie?
Rüdiger Sasse: Wir verwenden auf alle Arbeitsschritte mehr Zeit als es üblich ist. Wir maischen, gären und destillieren länger, als alle anderen Korn-Destillerien. Das wir überhaupt selbst destillieren ist aber sicherlich schon ein Unterschied. Wenn doch sonst fast alle Korndestillate in Deutschland aus drei Industrieanlagen kommen. Diesen Unterschied spürt man sofort, wenn man das Nosing Glas zur Hand nimmt. Es duftet komplex, z.B. nach Sommerblumenwiese und nicht nach Ethanol.
Für unsere Destillate haben wir herausgefunden, dass die Fässer am besten über viele Jahre dem natürlichen Klima der Jahreszeiten ausgesetzt sind. So haben unsere „Reifugien“, wie wir unsere Warehouses nennen, Luftein- und Auslässe, die für ganzjährige, klimadynamische Temperaturschwankungen in den Hallen sorgen. Unser Angels Share ist daher höher und somit auch der Preis des Destillats. Im Ergebnis werden wir mit reichhaltigen Aromen im Glas belohnt.
Wie viele Produkte umfasst das Portfolio – gelagerte und ungelagerte?
Rüdiger Sasse: Unser Basisportfolio umfasst drei ungereifte Spezialdestillate, die sogenannten NJU Korn, die speziell für hochwertige Bars als Zutat konzipiert sind. Sie sind so destilliert, dass ihr Charakter auch im fertigen Drink noch schön wahrnehmbar bleibt. So setzen sie sich von einem seelenlosen Wodka als reine Füllspirituose ab. Im gelagerten Bereich haben wir drei Digestif-Kornbrände in Preisklassen von 25 € bis 70 € je Flasche im Sortiment. Alle drei Produkte unterscheiden sich komplett voneinander.
Bei der Lagerkorn V.S.O.P. Qualität steht die sagenhafte Milde im Vordergrund, der komplexe „Cigar Special“ hat bereits einen Preis als bester Whisky Kontinentaleuropas gewonnen und bei unserem „Atlantik Finish“ bekommen wir von Juroren regelmäßig die Rückfrage, ob wir uns bei der Bezeichnung vertan hätten, das könne doch kein Korn sein. Wir freuen uns über jeden, der sich auf die Geschmacksvielfalt von Lagerkorn einlässt. Überraschungen können wir auf jeden Fall versprechen.
Aktuell haben Sie den limitierten „Lagerkorn 15“ gelauncht. Erzählen Sie uns von dem Produkt!
Rüdiger Sasse: Neben unserem Basisportfolio launchen wir jedes Jahr einen ganz besonderen Korn. Heute ist es unser 15 Jahre gereifter Lagerkorn. Eine wahre Geschmacksexplosion. Die Destillate haben wir ganz klassisch im Stil der RYE Whisky Tradition des vorletzten Jahrhunderts gebrannt. Nach 5 Jahren haben wir das Destillat erstmalig verkostet. Dann lange nicht.
Ich bin heute selber immer wieder überrascht, wie fein alle Aromen nebeneinander verschmolzen sind. Orangenzeste, Karamell, Roggen, Pflaume, Zimt und viele weitere Komponenten sind klar herauszuschmecken. Das ganze gepaart mit einer unvergleichlichen Milde. Das Produkt macht mir einfach richtig Spaß – merkt man, oder?
Wer sind Ihre Kunden? Über welche Kanäle vertreiben Sie Ihre Produkte?
Rüdiger Sasse: Gut 1/3 unserer Produktion geht in die Gastronomie. Der Schwerpunkt liegt auf Betrieben mit handwerklichem Speisenangebot. Lagerkorn ist ein Menübegleiter. 1/4 unserer Produkte vermarkten wir direkt an den Endverbraucher. 5% geht in den Export, der Rest wird im Einzelhandel verkauft, wobei wir außerhalb unseres Kerngebietes ausschließlich den Fachhandel beliefern. Hier geht es darüber hinaus zum Onlineshop.
Wie sieht die Korn-Zukunft bei Sasse aus? Gibt es neue Produkte, Pläne, Aktionen usw. für das nächste Jahr?
Rüdiger Sasse: Die Herausforderungen sind groß. Die Gastronomie ist für uns der Ort, in dem Menschen neue Geschmackserlebnisse entdecken. Corona hat hier leider viele Strukturen zerstört. Die Personaldecke ist immer noch zu dünn und die Melange aus Wirtschaftskrise und Mehrwertsteuererhöhung wird Gift für viele Betriebe sein. So arbeiten wir fieberhaft an Konzepten und Details, die den Gastronomen helfen, Geschmackserlebnisse einfacher, besser, aber auch profitabler, an den Gast zu bringen.
Der Schwerpunkt unserer Arbeit 2024 wird also darin liegen, die Serviceteams in der Gastronomie fit zu machen, Impulse für den Mehrabsatz nach dem Essen zu schaffen und Produktpflege zu betreiben. Alles wenig spektakulär, aber notwendig, wenn wir handwerkliche Geschmacksvielfalt im Spirituosensegment erhalten wollen. Hier hilft unsere lange Geschichte wirklich. Denn immer, wenn es schwierig war haben wir gute Antworten auf die Situation gefunden. Das ist der wahre Kern des Lagerkorn.
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+++ Wir bedanken uns bei Rüdiger Sasse für das offene und sehr interessante Interview! Wenn auch Sie eine interessante Marke haben, dann sollten wir uns unterhalten. Senden Sie uns einfach eine E-Mail mit dem Betreff „about-drinks Interview“ an redaktion@about-drinks.com – wir freuen uns auf Ihren Kontakt! +++