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Gaffel Wiess

Im Interview mit Dr. Philipp Hoffmann über das historische Wiess und die Entstehung des Kölsch

Bis vor hundert Jahren trank man in Köln vornehmlich das Wiess, den Vorläufer des Kölsch. Jetzt ist das naturtrübe Obergärige wieder zurück und erobert die Gaumen der Rheinländer. Dr. Philipp Hoffmann, Leiter der Abteilung Kölnisches Brauchtum im Stadtmuseum und Geschäftsführer der Freunde und Förderer des Kölnischen Brauchtums, erklärt im Interview die historischen Hintergründe des Wiess und die Entstehungsgeschichte des Kölsch.

Köln ist bekannt für seine Brauhauskultur und das Kölsch, das fest mit der Stadt verankert ist. War das schon immer so?

Dr. Philipp Hoffmann: Die ersten schriftlichen Zeugnisse Kölner Biergeschichte stammen aus dem Mittelalter. 1302 wurde ein Brauhaus auf dem Eigelstein 41 im Schreinsbuch der Stadt aufgeführt. Fast 100 Jahre war das die Adresse der 1908 gegründeten Privatbrauerei Gaffel. Das älteste Brauhaus Zum Hirschen auf der Cäcilienstraße ist für das Jahr 1243 nachgewiesen. Aber erst im 19. Jahrhundert bildete sich die „altkölnische Weetschaff“ heraus. Dort wurde gebraut und ausgeschenkt. Man trank kein blankes, gefiltertes Kölsch, sondern ein obergäriges, helles, naturtrübes Wiess. „E Wieß un e Röggelche met Kies“ hieß es oft bei Bestellungen. Der Köbes trug damals schon ein blaues Wams und den breiten Gürtel mit der Geldtasche. Das Wiess wurde im Stehen oder Sitzen getrunken. Wer im Wirtshauszimmer Platz nahm, musste mehr fürs Wiess zahlen als der Gast, der stand.

Bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde ein Köln handwerklich gebraut. Was hat sich mit der Industriellen Revolution verändert?

Dr. Philipp Hoffmann: Bis dato versorgten innerhalb der Kölner Stadtmauern über hundert Hausbrauereien, die nach jahrhundertealter Tradition brauten, die Bürger. Durch die Industrialisierung veränderten bahnbrechende Erfindungen wie die Eisenbahn nicht nur das Leben der Menschen, sondern auch den Brauprozess. Dampfmaschine und Kunsteiskühlung erlaubten industrielles brauen, und es konnte Bier in großen Mengen hergestellt werden. Mittels Hochleistungsfiltern konnte erstmals Bier von allen Trubstoffen vollständig gereinigt werden. Das obergärige, trübe Wiess trat in Konkurrenz zu untergärigen, goldglänzenden Bieren wie Pils und Export. Diese Sorten wurden um 1900 von fünfzehn Großbetrieben in Köln und in Kölner Vororten produziert. Viele der kleinen Hausbrauereien überlebten diesen Prozess nicht. Die Zahl der „altkölnischen Weetschaffen“ schrumpfte auf 57.

Wann erfolgte der Übergang von Wiess auf Kölsch?

Dr. Philipp Hoffmann: Der Übergang vom Wiess auf das Kölsch beginnt nach dem Ersten Weltkrieg. Die obergärigen Hausbrauereien musste sich dem Konkurrenzkampf mit den untergärigen Großbrauereien stellen und entwickeln ihr Wiess weiter und brachten jetzt blankes, also kristallklares Bier auf den Markt. Immer mehr setzte sich die Produktbezeichnung Kölsch durch, wodurch eine regionale Verortung, eine regionale Identität mit diesem Bier geschaffen wurde und wodurch sich der Absatz dieses neuen, klaren Getränkes nochmal deutlich steigern ließ.

Wiess ist also der unfiltrierte Vorläufer des blanken Kölsch oder auch das Ur-Kölsch. Dieser Bierstil ist im Vergleich zu anderen klassischen Biersorten wie Pils oder Helles recht jung. Dennoch hat Kölsch einen enormen Bekanntheitsgrad, sogar weltweit. Wie ist das zu erklären?

Dr. Philipp Hoffmann: Kölsch ist nicht nur ein Bierstil, sondern auch eine Herkunftsbezeichnung. Das macht dieses Bier einzigartig und besonders attraktiv. Bereits 1963 stellte das Kölner Landgericht den geografischen Bezug zu Köln her. Diesem Urteil schloss sich 1980 das Oberlandesgericht an. Die Sorte wird nun von der EU geschützt und darf nur in Köln gebraut werden. Wie Kölsch produziert wird, legt die Kölsch-Konvention fest, die am 6. März 1986 von 24 Kölsch-Brauereien unterzeichnet wurde. Kölsch ist demnach ein obergäriges, helles, hochvergorenes, hopfenbetontes, blankes Vollbier. Der Stammwürzegehalt beträgt 11–13 Prozent mit einem Alkoholgehalt von etwa 4,8 Volumen-Prozent. Ausgeschenkt wird Kölsch aus einem hoch-zylindrisch 0,2-Glas, der sogenannten Kölsch-Stange.

Wiess und Kölsch sind eng verwandt! Beide Biere werden obergärig gebraut. Kölsch wird filtriert, Wiess bleibt naturtrüb. Warum gibt es dann zwei verschiedene Trinkgefäße?

Dr. Philipp Hoffmann: Wiess trank man früher ausschließlich in den Brauhäusern. Der Zappes zapfte das Bier aus einem großen Fass, das nicht nur im Gastraum, sondern auch im Keller stehen konnte, in einen größeren Krug und der Köbes brachte es zum Gast. So entspricht es der Tradition, dass das heutige Wiess auch im Glaskrug angeboten wird. Die Kölsch-Stange hatte sich erst später durchgesetzt. Das dünnwandige, zylindrische 0,2-Glas war dank industrieller Fertigung erschwinglich im Einkauf und auch enorm praktisch, da der Köbes die Stange in einem Kranz transportieren konnte. Außerdem lässt es sich aus schlanken Gläsern schneller trinken. Ein Argument, dass den Rheinländern schnell einleuchtete.

Sie leiten die Abteilung Kölnisches Brauchtum im Stadtmuseum und sind darüber hinaus Geschäftsführer der Freunde und Förderer des Kölnischen Brauchtums. Wie ordnen Sie Wiess als oberster Brauchtumshüter ein?

Dr. Philipp Hoffmann: Hier kommen natürlich zwei Dinge zusammen. Auf der einen Seite die Erinnerung an die traditionelle Brauhausatmosphäre des 19. Jahrhunderts mit dem Krug, die heute noch an die gelebte, klassenlose Gesellschaft in den Kölner Baumhäusern erinnert und sie lebendig hält. Auf der anderen Seite eben die Handwerksmethode, die obergärige Braumethode, eine lange Tradition in Köln, die hiermit auch nochmal um eine Facette wieder bereichert wird. Und diese beiden immateriellen Kulturtraditionen, die in Köln jetzt so gelebt werden, machen eins wunderbar deutlich: Dass man Geschichte nicht nur leben kann, sondern tatsächlich auch trinken kann. In dem Sinne: Prost zusammen.

Das Interview gibt es auch auf YouTube: https://youtu.be/lAa9Zi26zSI | www.gaffel-wiess.de

Text/Bildquelle: Privatbrauerei Gaffel Becker & Co. OHG

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