Hendrick’s: Lesley Gracie über ihren Weg in die Branche, den Gin und ihre Experimentierfreude
Über 22 Jahre ist es her, dass Lesley Gracie auf Bitte von Charlie Gordon, einem Urenkel des Gründers William Grant, einen Gin für das Unternehmen William Grant & Sons entwickelte. In der damaligen Zeit spielte Gin so gut wie keine Rolle. Dennoch ist es ihr gelungen, ein Produkt zu entwickeln, das diese Spirituosen-Kategorie bis heute maßgeblich geprägt und ihr neuen Glanz verliehen hat: Hendrick’s. Als Meister-Destillateurin hat Lesley Gracie viele Dinge anders als andere gemacht, um dem Gin den unvergleichlichen Geschmack von u.a. Rose und Gurke einzuhauchen. Ihre Kreativität lebt sie seither in den verschiedenen Editionen des „Cabinet of Curiosities“ aus. Die herausragende Leistung hat jüngst das internationale Gin Magazine gewürdigt und sie in die Hall of Fame aufgenommen.
Im Interview spricht Lesley Gracie mit about-drinks über diese Auszeichnung, ihren Weg von der Pharmaindustrie zu Hendrick’s sowie ihre einzigartige Experimentierfreude. Zudem verrät sie, welchen deutschen Gin sie besonders gerne mag.
Bitte erzählen Sie unseren Lesern, wie alles begann: Wie sind Sie ein Teil von Hendrick’s Gin und später Master Distiller geworden?
Lesley Gracie: Ich habe mir nie vorgenommen, Master Distiller eines Gins zu werden. Es ist einfach so passiert, ich hatte wohl großes Glück. Ich war zur richtigen Zeit am richtigen Ort und hatte genau die richtigen Fähigkeiten, die für den Job benötigt wurden.
Mein Hintergrund ist die Chemie und ich begann meine Karriere in der pharmazeutischen Industrie. Ein Teil meiner Arbeit bestand darin, bei der Entwicklung neuer Medikamente zu helfen und den oftmals unangenehmen, bitteren Geschmack einiger der von uns produzierten Medikamente zu überdecken, damit die Leute sie auch tatsächlich einnehmen.
Vor mehr als 30 Jahren bin ich nach Schottland gezogen und habe bei William Grant & Sons angefangen. Ich begann im technischen Team, analysierte Proben im Labor und wurde dann schnell in die Entwicklung neuer Produkte und das Herumspielen mit Aromen einbezogen.
Eines Tages bat mich Charlie Gordon (der Urenkel von William Grant, dem Firmengründer), bei der Herstellung eines neuen Gins zu helfen. Das war etwas überraschend, denn damals hat niemand wirklich mit Gin herumgespielt – es war eine ziemlich ungeliebte Spirituose. Es gab nur eine Handvoll Produkte in der Backbar und die Leute tranken nicht wirklich gerne Gin.
Aber Gin hat diese unglaubliche Geschichte: Er war einmal sehr beliebt und Charlie sah eine Zeit, in der sich die Leute wieder in Gin „verlieben“ würden. Er war sehr klar in dem, was er wollte: eine mutige neue Art von Gin mit echtem Charakter und Geschmack. Er wollte, dass er Rose und Gurke enthält – es gibt nichts, was britischer ist als Rosengärten und Gurkensandwiches! Und er wollte die beiden Destillierapparate verwenden, die er 1966 auf einer Auktion ersteigert hatte: einen seltenen Carterhead aus dem Jahr 1948 und einen alten Bennet Pot, der aus dem Jahr 1864 stammte. Wenn ich irgendwann in den Ruhestand gehe, werde ich diese Brennblase mitnehmen – sie ist mein Baby!
Mit dieser knappen Vorgabe machte ich mich also daran, herauszufinden, wie man all diese Elemente zusammenbringen konnte, um das runde Geschmacksprofil von Hendrick’s zu schaffen. Und 22 Jahre später stelle ich ihn immer noch nach demselben Rezept in denselben kleinen Chargen von 500 Litern her und experimentiere ständig weiter. Ich habe das Glück, dass ich die Freiheit besitze, alles zu kreieren, worauf ich Lust habe. Und ich nach wie vor ermutigt, Dinge anders zu machen.
Was sonst wollten sie bei Hendrick’s anders machen als andere?
Lesley Gracie: Nun, die Idee für Hendrick’s war nicht meine, sondern die von Charlie. Ich habe allerdings das Rezept kreiert. Charlie war sehr klar, dass wir alles anders machen müssen, wenn wir Erfolg haben wollen. Wir mussten uns nicht von Konventionen einschränken lassen oder uns auf Kategorien beschränken. Wir mussten einfach einen charaktervollen Gin herstellen, der wirklich anders war als das, was zu dieser Zeit auf dem Markt war.
Die Idee, Rose und Gurke in den Gin zu mischen, war damals ziemlich verrückt, aber sie funktionierte perfekt. Es bedeutete, dass wir keinen London Dry Gin machen würden, da wir die Essenzen nach der Destillation aufgießen mussten, um die frischen, grünen, lebendigen Noten der Gurke und die blumige Zartheit der Rose zu erhalten, aber das hat uns nicht gestört. Es ging mehr darum, den runden Geschmack zu kreieren, nach dem ich suchte, als sich an irgendwelche Kategoriengrenzen zu halten.
Auch die Art und Weise, wie wir Hendrick’’ destillieren, unterschiedet sich von anderen. Wir verwenden dieselben elf trockenen Botanicals sowohl in der Carterhead-Destille als auch in der Bennett-Destille. Aber überraschenderweise produzieren sie völlig unterschiedliche Destillate. Die Carterhead-Destillation ergibt ein leichtes, duftendes Destillat und die Bennett-Destillation ein intensives, reichhaltiges Destillat, so dass man, wenn man sie miteinander vermählt, etwas erhält, das sowohl leicht als auch komplex ist. Und die Zugaben von Rose und Gurke geben ihm das Grün, die Frische und die blumigen Noten für den letzten Schliff.
Es ist sicherlich nicht die einfachste Art, einen Gin herzustellen – und auch nicht die effizienteste. Aber es ist eine ungewöhnliche Entscheidung, die sich wirklich ausgezahlt hat und die uns unseren unverwechselbaren Charakter verleiht. Ich würde das um nichts in der Welt ändern.
Auf welche Entscheidung oder welches Produkt sind Sie besonders stolz? Gab es Dinge, die Sie im Nachhinein anders machen würden?
Lesley Gracie: Am stolzesten bin ich auf unser original Hendrick’s-Rezept. Zu sehen, wie sehr die Leute Hendrick’s lieben und wie viele neue Leute es in die Gin-Kategorie gebracht hat, ist schon erstaunlich. Ich bin immer noch begeistert, wenn ich sehe, wie jemand eine Flasche Hendrick’s aus dem Regal im Laden nimmt, und mir dann denke: „Wow, den habe ich gemacht.“
Nicht jeder weiß das, aber unser original Hendrick’s Gin ist die Basis für alle unsere Produktinnovationen. Jede der limitierten Editionen des „Cabinet of Curiosities“, wie zum Beispiel Hendrick’s Midsummer Solstice, verwendet Hendrick’s Gin als Basis. Dann lege ich eine andere Mischung von Botanicals darüber, die mir helfen, eine bestimmte Geschichte zu erzählen oder eine Erinnerung oder ein Gefühl zu erwecken, das ich habe.
Ich bin nicht wirklich jemand, der etwas bereut – Reue ändert nichts, also hat es meiner Meinung nach keinen Sinn. Ich bin glücklich mit Hendrick’s Gin, so wie er ist. Er hat sich erstaunlich gut entwickelt und wie es scheint, sind auch viele andere Leute von ihm begeistert!
Woher nehmen Sie Ihre Ideen für Geschmack, Design usw. Der unterschiedlichen Sorten?
Lesley Gracie: Ich lasse mich eigentlich von überall her inspirieren – die Orte, an denen ich bin; die Menschen, die ich treffe; die Dinge, die ich berühre, sehe und rieche. Düfte sind so mächtig, sie können einen wirklich an besondere Orte mitnehmen oder zurückbringen – und das auf eine Art und Weise, die ziemlich magisch ist.
Für mich ist der Ausgangspunkt aller neuen Sorten nicht dieses oder jenes neue Aroma, sondern eine Art von Erinnerung. Ich versuche, ein Gefühl oder eine Empfindung, die ich schon einmal hatte, in einem Gin zu erzeugen, indem ich eine Mischung aus verschiedenen Botanicals verwende, um diese Geschichte zu erzählen oder diese Erinnerung hervorzurufen.
Ich liebe es, neue Botanicals auszuprobieren. Ich bin wirklich ein kleiner Geek und gehe oft durch botanische Gärten oder einfach im Freien spazieren. Ich berühre und rieche alles, was ich sehe. Ich habe zwei Gewächshäuser im Hendrick’s Gin Palace, in denen ich verschiedene Pflanzen anbauen kann – sowohl tropische als auch mediterrane. Mit denen kann ich dann in meinem Labor mit verschiedenen Geschmackskombinationen experimentieren, um zu sehen, was funktioniert.
Mit dem Design habe ich allerdings nichts zu tun, das ist Sache des Marketing-Teams. Das ist wahrscheinlich ein ebenso guter Job. Ich weiß noch, wie ich das erste Mal die Verpackung für Hendrick’s gesehen habe und entsetzt war, dass es dieses plumpe, dunkle Ding war und nicht einer der klaren, eleganten Verpackungen, die damals in Mode waren. Aber ich muss es dem Marketingteam lassen: Sie sind wirklich fantastisch. Wann immer man in eine Bar oder einen Laden geht, erkennt man Hendrick’s schon aus einer Meile Entfernung. Es ist eine unverwechselbare Spirituose. Ich konzentriere mich daher auf die Herstellung des Gins und überlasse das Design und das Marketing den Experten.
Wie fühlt es sich an, Teil der Hall of Fame zu sein? Beeinflusst die Auszeichnung Ihre Arbeit?
Lesley Gracie: Um ehrlich zu sein, konnte ich es zuerst nicht ganz glauben. Ich dachte, es wäre einer aus meinem Team, der mir einen Streich spielt! Aber es war wahr und ich fühle mich wirklich geehrt, so anerkannt zu werden. Die Gin-Industrie ist voll von unglaublichen Menschen und ich liebe es wirklich, ein Teil davon zu sein. Aber wird es mich oder meine Arbeit verändern? Nein, wahrscheinlich nicht. Am nächsten Tag ging ich wie gewohnt zur Arbeit.
Haben Sie nach diesem großen Erfolg an eine Pause – oder gar ans Aufhören – gedacht?
Lesley Gracie: Um Himmels willen, nein. Ich fühle mich durch die Auszeichnung zwar sehr geehrt, aber ich habe noch viele weitere Experimente in der Schublade und viele weitere Ideen im Kopf. Es steckt noch viel kreative Energie in mir … warten Sie es nur ab!
Wie sehen Ihre Pläne für dieses Jahr konkret aus? Kommt vielleicht sogar eine neue Sorte aus Ihrer Schublade?
Lesley Gracie: Ich habe in meinem Labor während des Lockdowns mit ziemlich vielen Dingen herumgespielt und werde eine Menge neuer Ideen haben, die veröffentlicht werden, wenn die Zeit reif ist. Aber wir bringen immer nur eine limitierte Ausgabe aus unserem Kuriositäten-Kabinett heraus, bevor wir sie durch ein anderes meiner Experimente ersetzen. Sie müssen abwarten, was als nächstes kommt … aber ich kann Ihnen garantieren, dass es ganz anders sein wird als das letzte.
Wenn Sie selbst zum Hendrick’s Gin greifen: Wie genießen Sie ihn am liebsten?
Lesley Gracie: Ich trinke normalerweise etwas Einfaches, das die Botanicals im Hendrick’s Gin zur Geltung bringt. Ich liebe Blumen und habe eine Vorliebe für Holunderblüten in Drinks – sie sind ja auch eine der Botanicals in unserem Gin.
Es gibt einen Drink, den die Jungs für mich machen – Hendrick’s mit Holunderblüten und Sodawasser. Ich liebe ihn wirklich – er ist einfach, elegant, ausgewogen und blumig und wirklich erfrischend an einem warmen Tag oder perfekt als Drink am Ende eines Tages. Ich habe so oft danach gefragt, dass sie das Getränk nach mir benannt haben, also wurde es „The Lesley Gracie“ getauft.
Gibt es einen speziellen deutschen Gin, den Sie mögen?
Lesley Gracie: Ja, ich mag es immer, auf meinen Reisen neue Gins zu probieren. Besonders solche, die lokal angebaute Zutaten verwenden, die für die Region besonders sind. In Deutschland gibt es inzwischen eine ganze Reihe von Gins von hoher Qualität, die mit echter Beständigkeit hergestellt werden. Ich mag den Berliner Brandstifter sehr, da er mit Botanicals destilliert wird, die auf einem kleinen Hof in der Umgebung von Berlin angebaut werden. Die floralen Noten in der Nase setzen sich am Gaumen mit echter Eleganz fort.
Hendrick’s Gin | hendricksgin.com | facebook.com/hendricksgin | instagram.com/hendricksgin
+++ Wir bedanken uns bei Lesley Gracie für das offene und sehr interessante Interview und wünschen weiterhin viel Erfolg! Wenn auch Sie eine interessante Marke haben, dann sollten wir uns unterhalten. Senden Sie uns einfach eine E-Mail mit dem Betreff „about-drinks Interview“ an redaktion@about-drinks.com – wir freuen uns auf Ihren Kontakt! +++