Bring den Kiez zurück auf die Wiese – mit Wiesenkiez Streuobstwiesen retten
Bunte Vögel in schrillen Outfits; Bewohner, die die Nächte durchmachen; solidarische Kommunen, die alles teilen. Hier wird Vielfalt, Einzigartigkeit, aber auch Solidarität großgeschrieben. Jeder trägt etwas zum Großen und Ganzen bei. Wer jetzt an den Kiez in St. Pauli oder Kreuzberg in Berlin denkt, liegt nicht falsch. Die eigentlichen Kieze liegen aber abseits der Metropolen in der Provinz und schlagen ihre Pendants in punkto Buntheit um Längen. Die Streuobstwiesen mit bis zu 5.000 Tier- und Pflanzenarten und über 3.000 Apfelsorten sind die artenreichsten Lebensräume in unseren Breitengraden und an Vielfalt nicht zu übertreffen.
Aber ähnlich wie die Kieze in den Städten von Gentrifizierung bedroht sind und die ursprünglichen Bewohner immer weiter zurückgedrängt werden, sind auch die Streuobstwiesen extrem bedroht. Die Bedrohungen für beide Lebensräume entspringt aber der gleichen Logik: ein Wirtschaftssystem, das nur die Profitmaximierung im Blick hat und alle Nebenwirkungen außer Acht lässt. Im Falle der Streuobstwiesen war es die Wende weg von den nachhaltig bewirtschafteten Wiesen mit hohen Obstbäumen in einer riesigen Sortenvielfalt, die Lebensraum für zahlreiche Bewohner sind, hin zu industrialisierten Apfelplantagen mit dicht aneinander gepflanzten Sträuchern in Monokulturen. Vielfältig sind hier nur die Pestizide und Fungizide, die bis zu 30 mal gespritzt werden.
Jestädt – biologischer Anbau seit 1989
Über 70% der alten Streuobstwiesen sind diesem System bereits zum Opfer gefallen, weil der industrialisierte Obstbau höhere Erträge abwirft und in der Pflege weniger Aufwand bedeutet. In den 1960ern Jahren gab es sogar Fördermittel für jeden gefällten alten Baum, das Biotop Streuobstwiese galt als veraltet. Ziel war es, Obst in Massen für den Weltmarkt zu produzieren.
Einer, der sich geweigert hat, diesen Schritt mitzugehen und die bis zu 120 Jahre alten Bäume zu fällen war der Großvater von Christoph Jestädt. Er pflegte die Bäume weiter, sein Sohn Josef Jestädt stellte den Hof bereits 1989 auf biologischen Anbau um und wurde zu dieser Zeit von vielen als „grüner Spinner“ belächelt. In 2016 hat nun Christoph Jestädt den Hof in zehnter Generation übernommen und sich ein Ziel gesetzt: mit Lebensmitteln die Lebensräume erhalten, auf denen sie wachsen.
Weinschorle Lieber Schorli
Das macht er unter anderem mit seiner Weinschorle Lieber Schorli, von der ein Teil des Erlöses direkt wieder in den Lebensraum Weinberg fließt, um den Markenbotschafter von Lieber Schorli wieder zurück auf die Landkarte zu holen: den Wiedehopf. In drei Jahren seit der Markteinführung kamen so 11.000 € zusammen, die Christoph Jestädt an den Landesvogelschutzbund (LBV) gespendet hat, um den Lebensraum Weinberg zu renaturieren.
Sein absolutes Herzensprojekt ist aber die Streuobstwiese. „Bereits als kleines Kind wurde ich direkt mit zur Apfelernte auf unserer Streuobstwiese herangezogen. Die harte Arbeit hat mir nicht immer Spaß gemacht, aber der Geruch der zahlreichen Apfelsorten, wenn Sie nach der Ernte in großen Säcken zur nahegelegenen Kelterei gefahren wurde, das war absolut einzigartig. Der Geruch und der Geschmack unserer Äpfel ist für mich bei jeder Ernte immer wieder ein Gefühl von Zuhause. Deshalb bricht es mir umso mehr das Herz, dass immer mehr alte Wiesen von der Bildfläche verschwinden.“
Um das zu ändern, kämpft Jestädt mit weiteren Streuobstenthusiasten in der Rhöner Apfelinitiative für dieses reiche Erbe. Über 1.000 Lieferanten aus der gesamten Rhön und Umgebung werden über den Verein biozertifiziert und erhalten für Ihre Äpfel den doppelten des marktüblichen Preises. Die Apfelinitiative möchte über die faire Bezahlung ihre Lieferanten dazu bewegen, ihre Wiesen zu pflegen und zu erhalten. Um die faire Vergütung gewährleisten zu können, müssen die Äpfel aber natürlich auch vermarktet werden. Christoph Jestädt möchte dabei weg von einem angestaubten Bio-Image im Reformhaus-Look.
„Es geht mir darum, dass wir Marken schaffen, die für Genuss und Lifestyle stehen. Ein Cider oder Saft, in dem über 300 alte Apfelsorten stecken, schmeckt einfach besser, ist gesünder und natürlich auch besser für die Umwelt. Es geht aber nicht darum, sein schlechtes Gewissen zu beruhigen, sondern einfach gute Produkte zu trinken und wenn ich Lust habe, kann ich direkt vor meiner Haustür schauen, wo die Früchte wachsen. Im Urlaub in Italien oder Frankreich fahren viele in die Weinberge oder zu regionalen Erzeugern und sind zurecht vollkommen begeistert, was für eine unglaubliche Vielfalt an leckeren Produkten angeboten wird, die in wunderschönen Landschaften wachsen. In punkto Geschmack und Vielfalt müssen wir uns aber nicht verstecken, ganz im Gegenteil. Wir müssen dieses kulinarische Erbe nur wiederentdecken.“
Aperitif geht auch biologisch und regional
Dabei bietet Jestädt neben einem Apfelsaft und Schorlen in 0,33-l-Flaschen zwei Cider-Varianten in Weiß mit Apfel-Birne-Quitte und in Rot mit Apfel-Sauerkirsch-Johannisbeeren an. Sein Lieblingsprodukt ist aber sein Aperitif aus heimischen Früchten, die mit Wermut verfeinert werden: „Wir erleben seit Jahren einen riesigen Hype rund um Aperol und Lillet. Aperitif geht aber auch biologisch und regional. Und wir merken an der Nachfrage, dass genau diese Themen immer wichtiger für die Menschen werden.“
Um die Geschichten hinter dem Anbau und den Lebensräumen sichtbar zu machen, hat Christoph Jestädt an seinem Hof einen Musterkiez geschaffen, der jederzeit für alle Interessierten offen steht. Neben der alten Wiese mit den bis zu 120 Jahre alten Bäumen hat Jestädt 120 neue Hochstämme gepflanzt. Umzäunt wird die Wiese von einem Heckenstreifen mit über 400 verschiedenen Hecken- und Sträuchern. Die Früchte stehen offen. Zudem sollen hier kostenlose Bildungsangebote für Schulklassen und Kindergärten, aber auch kostenlose Schnittkurse stattfinden. Außerdem veranstaltet er einmal im Jahr mit Freunden auf der Wiese das Kurzfilmfestival Wiesenflimmern. „Wenn die Menschen einmal die Wiese bei angestrahlten Bäumen, leckerem Essen, Filmen und Livemusik und leckeren Streuobstcocktails erlebt haben, bringt das oft eine tiefere Verbindung zu dem Lebensraum als stundenlange Vorträge“, ist sich Christoph Jestädt sicher.
Das Ziel hinter allem: Mit guten Produkten die Artenvielfalt zurück in die Lebensräume zu holen und die Wiese wieder zum bunten Kiez zu machen.
Quelle/Bildquelle: Hannheinehof Lebensmittel GmbH